Wenn Patienten Fahrzeuge führen
Grenzwerte, Verkehrsgerichtstage und Märchenstunden der Bundesregierung
Als die Bundesregierung beschloss Cannabis als Medizin einzuführen, bekam die Ungleichbehandlung von Cannabis und Alkohol, im Strassenverkehr eine neue Facette. Was solle mit denjenigen passieren, die Cannabis als Medizin konsumieren müssen? Wird bei den Patienten – mittlerweile 13000 – das selbe diskriminierende Procedere eingeleitet, welches in peniblem Bürokratendeutsch und -denken, fern von Wissenschaft und Verstand, eine Art Ersatzstrafrecht bei Cannabiskonsumenten sowie eine profitträchtige Industrie etabliert hat?
Neben der Polizei, die wissen möchte, wie sie bei Verkehrskontrollen mit Leuten mit Rezept umgehen soll, die Cannabis konsumieren dürfen wollen auch andere wissen, was die Einführung von Cannabis als Medizin für den Verkehr zu bedeuten hat. Würde da dieses ganze Gerüst an zweifelhaften Argumentationen und Schlussfolgerungen zusammenbrechen, diese ganze Chose mit fehlendem Trennungsvermögen zwischen Konsum und Führen eines Fahrzeugs, gefolgerter Ungeeignet, selbst bei Null-Bezug zum Verkehr? Würde das nicht obsolet, wenn zukünftig Patienten mehr als gelegentlich, auch regelmässig, auch im Verkehr konsumieren und keineswegs den Führerschein verlieren dürften? So wie bei anderen Patienten, Substituierten etwa?
In einer parlamentarischen Drucksache, die Linke hatte gefragt, antwortete die Bundesregierung unter Aufbietung einlullender Prosa, sprich Märchenstunde vom Feinsten, mystifizierend.
Warum das Führen eines Fahrzeug „unter Wirkung eines berauschenden Mittels“ ok ist, wenn „die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“, bleibt ihr sahniges Geheimnis. Sie weiß ganz bestimmt, dass „die Wirkung der Substanzen als Therapeutikum bei der Einnahme nach ärztlicher Verordnung sich deutlich von der Wirkung bei missbräuchlichem Konsum“ unterscheidet – der Rechtsmedizin ist das hingegen unbekannt.
Aber es wird noch besser: „Während ein Drogenkonsument eine Substanz zu sich nimmt, um berauscht zu sein, nimmt ein Patient eine Substanz zu sich, um seinem Leiden entgegen zu wirken“. Genau. Wirkst du mit der Substanz deinem Leiden entgegen, bist du nicht berauscht.
Doch damit nicht genug, weiter in der Märchenstunde. „Wichtig ist insbesondere, dass Patientinnen und Patienten anders als Drogenkonsumenten über eine hohe Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit verfügen.“ Klar, wussten wir schon immer, dass Alkoholkonsumenten und Raucher über eine „hohe Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit“ verfügen im Gegensatz zu Cannabiskonsumenten.
Doch, seit neuestem, sobald Cannabiskonsumenten das Rezept zücken, „verhalten (sie) sich eher regelkonform und sind achtsam im Umgang mit der Medikation und den Nebenwirkungen.“ Vorher unzuverlässig und unverantwortlich, mit Rezept zuverlässig und verantwortlich. Warum sind wir da nicht eher drauf gekommen?
Bedeutet, neben den ohnehin schon willkürlichen Maßstäben und Kriterien, wie Alkohol- und Cannabisfahrten unterschieden werden und der noch befremdlicheren, Cannabiskonsumenten meist grundsätzlich die Eignung, ein Fahrzeug führen zu dürfen abzusprechen – nicht bloss die Fahrtüchtigkeit an sich im konkreten Fall bei einer Verkehrskontrolle, nein schon die Eignung, die Befähigung, aus charakterlichen Gründen selbst außerhalb des Strassenverkehrs – wird jetzt noch eine weitere willkürliche Unterscheidung herbeifabuliert Mit der Ereigniskarte ‚Rezept‘ bist du voll geeignet, zuverlässig und verantwortlich, ohne leider unzuverlässig und unverantwortlich. Ist doch ganz einfach, versteht jedes Kind.
Allerdings, tja, nur vielleicht. Den die bisherige Erfahrung zeigt, auch Cannabispatienten droht Ungemach. Mit dieser Problematik setzte sich Anfang des Jahres der deutsche Verkehrsgerichtstag auseinander. Der DHV kritisierte die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstag – darunter die durchaus begrüßenswerte empfohlene teilweise Einführung eines 3 Nanogramm Grenzwertes – insgesamt als „extrem zaghafte, minimale Verbesserung für Cannabiskonsumenten und dessen Empfehlung nach „mehr Kontrolle und Überwachung“ für Cannabispatienten. Ergo doch wieder Ungleichbehandlung gegenüber anderen Patienten.
Welche der Ungleichbehandlungen, die für Cannabispatienten und Cannabiskonsumenten vom Verkehrsgerichtstag empfohlenen oder von der Bundesregierung bestrittenen Ungleichbehandlung sich in der Praxis durchsetzen wird, wir dürfen gespannt sein. Cannabispatienten einstweilen können voraussichtlich nicht auf die Ereigniskarte Rezept bauen. Der DHV hat hierzu eine tolle Kampagne ‚Klarer Kopf, klare Regeln‘ gestartet, wo du die ungleich komplexeren Abläufe noch einmal studieren und du dich für mehr Gerechtigkeit einsetzen kannst.
Cannabispatienten
Bisheriges Verfahren wird laut Bundesregierung für Cannabispatienten nicht angewandt, doch in der Realität augenscheinlich mit geringen Abschlägen irgendwie doch. Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet. Die Grenzwerte bleiben zu hoch, die bürokratischen und verwaltungstechnische Maßnahmen unkalkulierbar, die Folgen womöglich existenzgefährdend, in jedem Fall aber völlig unangemessen.
Was passieren kann 1
Unverändert gilt in Deutschland ein Grenzwert von einem Nanogramm THC im Blutserum – was weder spürbar noch als beeinträchtigt oder berauscht anzusehen ist. In den USA gelten bis zu 5 ng THC im Blut (also 10 ng im Blutserum), in der Schweiz 3 ng THC im Blutserum.In in Deutschland führen 1 ng THC meist zu einem Bußgeld von 500 € und einem Fahrverbot von einem Monat. Erstmal.
Doch die Fahrerlaubnisbehörde erhält ebenfalls einen Bescheid. Bei vom Messwert abweichenden eigenen Angaben zum Cannabiskonsum mutmaßt die Fahrerlaubnisbehörde regelmäßig einen zweiten Konsum zwischen dem eingeräumten Konsum und dem Kontrollzeitpunkt. Folge, ein Fahreignungsüberprüfungs- sowie Fahrerlaubnisentziehungsverfahren. Wegen fehlendem Trennungsvermögen zwischen Konsum und dem Führen eines Fahrzeug.Also, zweimal gleich mehr als gelegentlich gleich ungeeignet. Obwohl weder ein Missbrauch noch eine Abhängigkeitserkrankung vorliegen.
Was passieren kann 2
Mehr als gelegentlicher Konsum führt meist zum Entzug der Fahrerlaubnis. Regelmäßiger Konsum – auch außerhalb des Verkehrs, egal ob heute, gestern oder vor 10 Jahren – führt zum Sofortentzug. Dann kann mittels MPU (medizinisch-psychologisches Gutachten zur Untersuchung der Fahreignung) erst nach einem Jahr Abstinenz die Fahrerlaubnis wiedererlangt werden.
Generell baut sich ein Berg sozialer und finanzieller Sorgen auf. Die Dauer des Verfahrens ist belastend, plus erhebliche Rechts- oder Beratungskosten kommen hinzu bzw. das sehr hohe Risiko des zeitweisen oder dauerhaften Führerscheinverlustes, zudem teilweise in der Folge Jobverlust mit weiteren teils existenziellen Problemen.
Ungleichbehandlung Alkohol
Bei Alkohol ist das anders. Erstens gilt eine Wirkstoffgrenze von 0,5 Promille, zweitens würden weder eigene Angaben zu Konsumfrequenz, „ich trinke mehr als zweimal im Jahr“, zu Zweifeln an der Fahreignungsüberprüfungs- sowie einem Fahrerlaubnisentziehungsverfahren führen. Bei Null-Bezug zum Verkehr, also bei Besitz auch grosser Mengen Alkohol passiert gleich gar nichts.
Der Gleichbehandlungsgrundsatzes des Artikel 3 des Grundgesetzes lautet: Gleiches ist gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Leider meint das Verfassungsgericht bislang, dieser gebiete nicht, alle potentiell gleich schädlichen Drogen gleichermaßen zu verbieten oder zuzulassen.
Weiterführende Links
http://fuehrerscheinkampagne.de/
https://hempedelic.com/10-regeln-fur-das-verhalten-bei-polizeikontrollen/
Artwork: Boytaro / twenty20